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Lustlosigkeit ist oft eine Frage des Zeitmanagements

Lustlosigkeit ist oft eine Frage des Zeitmanagements
Lustlosigkeit ist oft eine Frage des Zeitmanagements
Tut es! Sexologien Ann-Marlene Henning spricht offen über Sex, Lust und Frust. Foto: Gunnar Meyer, www.fotograf-hamburg.org

Ann-Marlene Henning ist die bekannteste Sexologin in Deutschland. Im Interview spricht sie über Liebe, Lust und Leidenschaft.

Ist sexuelle Lustlosigkeit ein weitverbreitetes Thema in Deutschland?

Ja, es gibt in sexueller Hinsicht weitaus mehr unzufriedene als zufriedene Paare.

Work. Sex. Balance. Hat es damit etwas zu tun?

Absolut, denn es gibt keine Balance. Immer mehr Menschen sind so selten zu Hause, dass einfach keine Zeit und kein Raum für Sex da ist. Zwölf-Stunden-Jobs, Hunde, Kinder und deren Hobbys, Pferde, Vögel – wann soll da noch Zeit zum Vögeln bleiben? Wenn sich an dieser Work-Work-Work-Einstellung in einer Beziehung nichts ändert, kann auch die beste Sexologin nicht helfen, denn die Paare haben kein Lust-, sondern ein Zeitproblem. Ich hatte auch schon mal eine schlechte Work-Sex-Balance.

Auch ich hatte schon einmal eine schlechte Work-Sex-Balance.

Inwiefern?

Auch wenn ich sagen kann: „Lass uns jetzt mal Sex haben“, habe ich bemerkt, dass viele Geschäftsreisen, lange Termine, keine Zeit zum Durchatmen das Sexleben negativ beeinflussen – auch meins. Auch eine Sexologin ist also nicht davor gefeit. Ich musste aktiv wieder einen Fokus auf das Thema Sex legen, sonst läuft es aus und andere Dinge gewinnen die Oberhand. Das kommt aber auch darauf an, welcher Typ man ist und ob man dies zulässt.

Gibt es verschiedene Stress-Sex-Typen?

Ja, es gibt hier eine neue These, die vieles erklären wird, was bisher nur gemutmaßt wurde. Diese beschreibt den zentralen Mechanismus, der die sexuelle Erregung reguliert und kontrolliert, also wie und wann jemand auf sexuell relevante Anblicke, Geräusche, Empfindungen oder Vorstellungen reagiert – und wann nicht.

Das Modell heißt „The dual control model“, also „Das duale Kontrollmodell“, und basiert in erster Linie auf dem sympathischen und dem parasympathischen Teil des vegetativen Nervensystems: Der sympathische Teil ist vergleichbar mit dem Gaspedal im Auto, der parasympathische mit der Bremse.

Wer eine zu stark eingestellte Bremse hat, wird sich beim Sex schwer fallen lassen oder braucht bestimmte Situationen, wie ein langes Vorspiel, um in Fahrt zu kommen. Derjenige, der immer auf dem Gaspedal steht, kommt schneller zum Punkt, kann meist ganz spontan Sex haben und liebt es, einfach sexuell zu sein, holt sich dadurch Entspannung.

Zu viel von dem einen, zu wenig von dem anderen – beides ist nicht gut. Nur wenn Gas und Bremse gut eingestellt sind, funktioniert es mit dem Sexleben, wenn man nicht mehr verliebt ist.

Warum ist das so?

Wenn man verliebt ist, dann ist alles leicht. Wenn jedoch aus Verliebtsein Liebe wird, verändern sich Hormone, und diese steuern dem Sexualtrieb häufig entgegen. Wenn man in dieser Phase nicht aufpasst, dann kann es ganz schnell zur Normalität werden, dass man nichts mehr macht und Job, Kinder und Hobbys so wichtig werden, dass alle Zeit darauf verwendet wird und die körperliche Nähe in den Hintergrund rückt. Man muss am Sexleben arbeiten – wenn man es nicht tut, wird es bei den meisten verschwinden.

Oft reden Partner auch nicht miteinander darüber.

Da sind wir bei einem ganz wichtigen Aspekt. Man könnte die Beziehung viel lebendiger halten, wenn man sich viel, viel mehr zeigen würde. Mit Ängsten, mit Sorgen, mit Freuden, die viele einfach zurückhalten. Das ist leider falsch verstandene Rücksicht auf den anderen, denn es kann Lust erschaffen, den anderen wirklich zu sehen, mit all seinen Gefühlen.

Wenn man das nicht tut, wird es schnell zu einem Nebeneinander- statt Miteinanderleben. In vielen langjährigen Beziehungen wird lieber nichts gesagt, um das System nicht zu verunsichern.

Wenn man aber nichts sagt, kennt man den anderen gar nicht mehr und weiß zumindest nie, wo er sich jetzt gerade gefühlstechnisch befindet. Das ist die eine Sache, dass man so auseinandergelebt ist, sich manchmal sogar gleichgültig wird. Da kommt aber auch wieder das Thema Work-Sex-Balance in Kombination mit Gaspedal und Bremse hinzu. Wenn das alles nicht in Einklang ist, wird es mit dem Sex nicht klappen.

Gibt es einen Punkt in der Beziehung, an dem man verstärkt darauf achten sollte, sodass es gar nicht erst so weit kommt?

Ich glaube nicht, dass es diesen Punkt X gibt, aber irgendwann merkt man, dass es nicht mehr so läuft wie am Anfang. Oft sind das kleine Anzeichen, beispielsweise, dass er oder sie einem lange nicht mehr durch die Haare oder über den Po gestreichelt hat.  

Ist Lustlosigkeit eine Frage des Alters?

Es gibt Untersuchungen, die das widerlegen. Einige 60-Jährige haben mehr Sex als 30-Jährige. Ich denke nicht, dass Lustlosigkeit etwas mit dem Alter zu tun hat.

Wie kommt man aus der Spirale der Lustlosigkeit wieder heraus?

Zeit ist das Zauberwort. Sich Zeit für den anderen nehmen. Es muss auch nicht immer gleich gerammelt werden – außer natürlich, beide möchten das. Man kann sich einfach mal nackt nebeneinanderlegen und sich anschauen. Die Lust kommt dann sehr häufig von allein – wenn man sich darauf einlässt.

Man sollte darauf achten, sich gegenseitig immer wieder Kleinigkeiten zu zeigen. Dem anderen zeigen, dass man ihn gerne anfasst, dass man ihn lieb hat, dem anderen auch mal Danke sagen, wenn er etwas gemacht hat. Man sollte immer darauf achten, die Beziehung intakt zu halten – körperlich und emotional.

Was raten Sie Paaren, die seit zehn Jahren keinen Sex mehr hatten?

Paare mit diesem Problem kommen jeden Tag in meine Praxis. Wir beginnen therapeutisch zu arbeiten, und wenn dann bald der erste Sex nach vielen Jahren Pause ansteht, haben viele Hemmungen, manche sogar Angst vorm zweiten ersten Mal. Dann habe ich die Paare auch schon einmal ganz offen gefragt: „Na, wie wäre es, heute Abend?“ Oft kommt dann, dass sie schon Lust haben, aber gar nicht mehr wissen, wie das geht.

Dann frage ich weiter: „Gibt es denn die Morgenlatte noch?“ – „Ja, die gibt es.“ – „Würdest du es schön finden, wenn sie diese anfasst?“ / „Würdest du sie gern anfassen?“ Als Antwort kommt dann öfters: „Oh ja!“ – „Dann macht es doch einfach!“ Was ich damit sagen will, ich versuche, den Paaren sehr konkrete Anregungen zu geben und eventuelle Hemmschwellen aufzuzeigen, damit der Druck kleiner wird und sie beginnen, offener über Sex zu reden.

Und eine Hausaufgabe könnte zum Beispiel sein, dass jeder den anderen in den nächsten Tagen mindestens zehnmal so anfassen sollte, wie man seine Geschwister nicht anfassen würde. Dabei muss es nicht gleich schlüpfrig werden, wie viele sagen. Es geht vielmehr darum, den anderen wieder zu berühren und die gegenseitige Aufmerksamkeit für Sexualität und Verführung zu erhöhen.

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