Home » LIFE » LIEBESLEBEN » Mein Job: Sexarbeiterin
LIEBESLEBEN

Mein Job: Sexarbeiterin

Mein Job: Sexarbeiterin
Mein Job: Sexarbeiterin
Foto: Luba V Nel/Shutterstock

Ich knöpfe meine Bluse zu, richte meine Strapsstrümpfe und ziehe meinen Rock zurecht.

Den Mann, der mich eben noch leidenschaftlich von hinten gevögelt hat, bringe ich zur Tür. Umarmung und Küsschen. „Hab einen entspannten Nachmittag. Bis zum nächsten mal!“

Ich bin seit zwanzig Jahren Prostituierte. Lieber nenne ich mich „Sexarbeiterin“. Prostituere, das heisst lateinisch: preisgeben, bloßstellen. Das passt nicht zu meinem Job, der genauso sehr „kein Beruf wie jeder andere“ ist, wie viele andere Erwerbstätigkeiten auch. Sicherlich anders als die meisten Bürojobs, vielleicht ähnlich besonders wie Zirkusartist und weniger aussergewöhnlich als Kriegsberichterstatter.

In einer Gesellschaft, in der es seit nunmehr fünfzig Jahren für viele denkbar ist, auch mal mit jemandem zu verkehren, mit dem man keine verbindliche Partnerschaft pflegt; in der man fürs Zuhören einen Therapeuten bezahlen darf und die innigste Bindung, die der Mensch kennt – die zwischen Mutter und Kind – stundenweise an professionelle Babysitter und Tagesmütter ausgelagert wird, ist es eigentlich erstaunlich, dass Sex gegen Geld noch immer ein so großes Tabu darstellt.

Im öffentlichen Diskurs werden so viele Themen vermischt: Sexualmoral, Geschlechterverhältnisse, Wohlstandsgefälle, Arbeitsausbeutung, Migrationsfragen. Uns wird ehrliches Mitgefühl genauso entgegengebracht wie wenig verhohlene Feindseligkeit. „Da muss man doch was tun!“ – stimmt, es gibt Missstände in unserer Branche. Nur welche das sind und was helfen würde, da gehen die Meinungen weit auseinander.

Zum Beispiel eine Kondompflicht. Das klingt nach einer guten Idee: den Frauen durch ein Gesetz den Rücken zu stärken, wenn der Kunde Dienstleistungen „ohne“ verlangt. Und auf dem Bau müssen schließlich auch Helme getragen werden. Aber Gesetze sind zahnlos, wenn ihre Einhaltung nicht überprüft wird.

Schauen wir uns doch einmal die Praxis in Bayern an, in der es bereits eine entsprechende Kondomverordnung gibt. Dort gehen zum einen Polizisten als Scheinfreier in Bordelle, verlangen Verkehr ohne Kondom und erteilen dann der Kollegin ein Bußgeld, wenn sie zustimmt.

Aber allein die Zustimmung ist noch kein Verstoß – es gibt zahlreiche Möglichkeiten, einem Mann ein Gummi zu verpassen, ohne dass er das überhaupt mitbekommt. Sexarbeiter_innen sind Experten in der Kunst der Illusion. Überprüfungsmethode Nummer zwei: Die Polizei, die in Bayern wie in insgesamt der Hälfte aller Bundesländer jederzeit anlassunabhängig Bordelle betreten und kontrollieren darf, verschafft sich mittels Dietrich Zugang zur Wohnung der Sexarbeiterin, stürmt im laufenden Akt das Arbeitszimmer und überprüft die Einhaltung der Kondomverordung durch Ausleuchten des Genitalbereichs mit einer Taschenlampe.

Das muss man sich einmal vorstellen! Ich kenne weit mehr Kolleginnen, die durch solche menschenunwürdige Polizeigewalt traumatisiert sind, als durch Zuhälter oder übergriffige Kunden. Somit schadet ein solches Gesetz in der Praxis mehr, als es nützt.

Ein weiteres Gesetzesvorhaben, das sich derzeit in Planung befindet, ist eine Genehmigungspflicht für Bordelle. Jede Pommesbude braucht eine Konzession, aber ein Bordell kann sogar ein vorbestrafter Vergewaltiger einfach so aufmachen, das geht doch nun wirklich nicht … So weit die These.

Nur: Pommesbuden werden nicht bereits über zahlreiche, speziell für das Frittiergewerbe erstelle Strafrechtsparagraphen reguliert. So wird zum Beispiel die Ausbeutung von Pommesbudenangestellten nicht noch einmal speziell geahndet, da man davon ausgeht, dass das Verbot einer Arbeitsausbeutung für alle Branchen auch für Pommesbuden gilt.

Es gibt keine Kartoffelstäbchen-Sperrbezirke, die beispielsweise auf 98% der Fläche von Baden-Württemberg die Herstellung und den Verkauf von Pommes Frites illegalisieren. Baurechtlich werden kleine, diskrete Pommesbuden nicht in Gewerbegebiete verbannt, weil niemand sie in seiner Nachbarschaft haben will.

Anwohner skandieren nicht „Pommes raus!“ und werfen mit Eiern, während die Polizei gelassen zuschaut. Und wöchentliche Großrazzien in allen Pommesbuden eines Stadtviertels sind eher unbekannt.

Gern ausgelassen wird bei der Pommesbuden-Argumentation auch, dass die meisten Großbordelle einen Ausschank haben und damit bereits eine Gaststättenlizenz. Sie erfüllen also nicht nur alle Anforderungen, die an Pommesbuden gestellt werden, sondern auch noch zusätzlich die bestehenden Sonderregeln für Prostitutionsbetriebe.

Und wenn die Sache mit den vorbetraften Betreibern wirklich ein so großes Problem ist, warum nutzt man nicht schon längst die vorhandenen Möglichkeiten des Gewerberechts, die es erlauben, einen Betrieb aufgrund von „Unzuverlässigkeit“ des Inhabers zu untersagen?

Vielleicht, weil mehrere Bundesländer und Kommunen sich nach wie vor hartnäckig weigern, Bodellen überhaupt einen Gewerbeschein auszustellen, weil sie das Prostitutionsgesetz von 2002 konsequent ignorieren und verzweifelt an der „Sittenwidrigkeit“ unserer Branche festhalten?

In den Niederlanden und zuletzt auch in Wien wurde die neu eingeführte Bodellkonzessionierung weit überwiegend dazu genutzt, politisch unliebsame Betriebe zu schließen. Egal, ob die Arbeitsbedingungen für die dort arbeitenden Sexworker gut oder schlecht waren, denn das konnten und wollten die zuständigen Behörden gar nicht beurteilen.

Und auch hierzulande möchte man die Ausgestaltung der Auflagen für eine solche Genehmigung den Ländern und Kommunen überlassen, mit der expliziten Möglichkeit, auch noch nachträglich weitere Hürden aufzustellen. Ein weiteres Prostitutionseindämmungsgesetz also. Denn Rechtssicherheit und Arbeitsschutz sehen anders aus.

München im Jahr 2013. Eine Routinekontrolle im Straßenverkehr. Nach einem Blick in die Datenbank gibt der Beamte der jungen Fahrerin ihre Ausweispapiere zurück – mit einem Grinsen. „Na, gehma anschaffen?“, fragt er die entsetzte Studentin. Ihr Beifahrer wusste bis dahin von ihrem Nebenjob nichts.

Was in Bayern und anderswo bereits seit Jahren stillschweigend und ohne Rechtsgrundlage praktiziert wird – die flächendeckende polizeiliche Registrierung von Sexarbeitenden – möchte die Regierung nun gern bundesweit gesetzlich verankern. In einem Gesamtpaket mit weiteren repressiven Maßnahmen: als „Prostituiertenschutzgesetz“.

Wie wenig sicher unsere Daten sind, das wissen wir bereits aus der Praxis. Und welche Folgen ein Zwangsouting für eine Sexarbeiter_in hat, ebenfalls: von familiären Problemen über Diskriminierungen bei öffentlichen oder privaten Dienstleistern bis zum Verlust des bürgerlichen Hauptjobs oder dem Ende der Karriere des Lebenspartners.

Solange uns wirksame Antidiskriminierungsmaßnahmen und eine konsequente legale Anerkennung verweigert werden, ist unser bester Schutz die eigene Entscheidung darüber, wen wir wann von unserer Tätigkeit in Kenntnis setzen möchten.

Angeblich aber soll diese Verletzung unserer Grundrechte nötig sein, um krimineller Ausbeutung und Menschenhandel in unserer Branche Herr zu werden. Fragt sich nur, wie genau das funktionieren soll. Denn bereits jetzt hat die Polizei in der Hälfte der Bundesländer die Möglichkeit, Bordellbetriebe und alle sich dort aufhaltenden Menschen jederzeit anlassunabhängig zu kontrollieren. Maßnahmen, in der sich Sexarbeiter_innen nicht selten selbst wie Verbrecher behandelt fühlen.

Die Aussicht auf noch häufigere betriebsstörende Razzien ist es auch, was in Bayern und Baden-Württemberg als Druckmittel verwendet wird, um die aktive Anmeldung von Sexarbeitenden bei der Polizei schon jetzt auf „freiwilliger Basis“ durchzusetzen. Zu einer erhöhten Aufklärungsrate von Verbrechen gegen Prostituierte führt das nicht. Im Gegenteil: wer Polizisten in erster Linie als Vollstrecker diskriminierenden staatlichen Kontrollwahns wahrnimmt, wird sich in einer Notlage sicher seltener vertrauensvoll an die Exekutive wenden.

Als Mittel gegen Menschenhandel wird eine Zwangsregistrierung noch weniger geeignet sein. Diejenigen, die Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung betreiben, werden die ersten sein, die „ihre Mädels“ bei den Behörden anmelden, um nicht aufzufallen.

Dagegen wird sich eine Studentin, die als selbstständige Escortdame ihr Studium finanziert, nicht anmelden, um einer strukturellen Stigmatisierung zu entgehen und ihr weiteres Berufsleben nicht zu gefährden. Sie begibt sich damit in die Illegalität, was sie leichter zum Opfer eventueller Straftaten macht – etwas, was die große Koalition mit ihrem Vorhaben vorgeblich verhindern will.

In Bezug auf die geplante Bestrafung von „Freiern von Zwangsprostituierten“ zeigt sich die Groteske in ihrem ganzen Ausmaß: Wenn ein Menschenhändler für seine „Zwangsprostituierte“ einen Hurenausweis besorgt hat, wird ihr das gar nichts nützen.

Der „Freier“, der dann schlimmstenfalls „wissentlich und willentlich“ die „Zwangsprostituierte“ vergewaltigt, geht – nach den Plänen der großen Koalition – unter Umständen straffrei aus: denn die „Prostituierte“ hatte ja einen Ausweis, der sie zur legalen Prostituierten macht.

Dagegen macht sich der Kunde der studentischen Escortdame strafbar, weil er die Dienste einer illegalen, nein: illegalisierten! Sexarbeiterin in Anspruch genommen hat, die nach Auffassung der Politik unter keinen Umständen aus freier Entscheidung zu dieser Tätigkeit gekommen sein kann, weil sie ja nicht angemeldet ist.

Historisch war die Registrierung von Prostituierten immer Vorreiter und Hilfsmittel für weitere Einschränkungen ihrer Freiheit. Von der Zwangskasernierung der „Kontrollmädchen“ im Kaiserreich bis zu Verschleppung und Tod als „Asoziale“ in der neueren Geschichte. Und auch heute noch werden Menschenrechtsverletzungen gegen Sexarbeiter_innen praktiziert, geduldet und als angeblich „schützende“ Maßnahmen ernsthaft politisch diskutiert: ärztliche Zwangsuntersuchungen zum Beispiel.

Es ist noch nicht lange her, dass in Deutschland Frauen in Handschellen auf den gynäkologischen Stuhl gezerrt wurden. Auch das soll uns nun nach dem Wunsch christlich-konservativer Politiker wieder bevorstehen – selbstverständlich nur zu unserem Besten.

Gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen von Escort bis Straßenstrich habe ich im letzten Jahr den bundesweiten „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BesD) gegründet. Als Antwort auf die Rufe nach „Prostitutionsbekämpfung“ und Arbeitsverbot, ob offen oder unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Schutzes. Wir setzen uns ein für die wirkliche Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in der Sexbranche.

Zum Beispiel für eine konsequente rechtliche Anerkennung von Sexarbeit als Beruf statt diskriminierender Sondergesetze. Für Empowerment, Information und Weiterbildung statt Bevormundung durch eine Rettungsindustrie. Für den Erhalt der Vielfalt von Arbeitsstätten und Wahlmöglichkeiten statt Verbot von „Gangbang“ und Gruppensex.

Für Arbeitsschutz und Mindeststandards in Bordellen statt moralisch motivierter Prostitutionsverhinderungsgesetze. Für gesundheitliche Aufklärung und den Ausbau von Präventionsangeboten statt menschenunwürdiger Zwangsuntersuchungen.

Und gegen eine polizeiliche „Hurenkartei“, die so in Deutschland mit bekannten Konsequenzen zuletzt in den Vierzigerjahren geführt wurde, werden wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren. Unterstützen Sie uns dabei!  

Mehr über uns lesen Sie unter www.berufsverband-sexarbeit.de

Nächster Artikel