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Verliebt, verlobt, fremdgegangen?

Verliebt, verlobt, fremdgegangen?
Verliebt, verlobt, fremdgegangen?
Foto: 271 EAK MOTO/Shutterstock

Für die einen ist es doch nur ein bisschen Spaß, für andere bricht die Welt zusammen. Spätestens seit es Menschen gibt, gibt es Seitensprünge, und genauso lange wird gestritten: Wer geht wann fremd und warum? Was bedeutet was für wen, und wie geht wer damit um? Kleiner Beitrag zur allgemeinen Orientierungslosigkeit.

Für alle, die nicht in einer offenen, polyamourösen Beziehung leben (– für alle?)  ist die Sache doch eigentlich klar: ein Seitensprung des Partners ist schlicht und einfach Betrug. Basta. Und Betrug, soviel steht ja wohl fest, ist falsch und schlecht. Ohne Wenn und Aber. Wer sowas macht, der muss ja ein ganz schlimmes Charakterschwein sein, der kann doch gar keine anderen Gründe haben als …

… tja, und das ist ungefähr die Stelle, an der es doch etwas komplizierter wird. Denn jeder Mensch ist ein bisschen anders, jede Beziehung ein bisschen einzigartig, und auch das Fremdgehen selbst kommt in allen Farben. Wenn man nur mal kurz bedenkt, was man zu dem Thema schon alles gehört hat,  lässt sich eigentlich nur feststellen: alles musste schon mal als Grund für einen Seitensprung herhalten.  „Es ist passiert“, weil man den Partner nur noch hasst oder einfach zu stark liebt; weil man sich eingeengt fühlt oder im Gegenteil vernachlässigt; weil man zu wenig Sex bekommt oder zu viel, aber nicht die richtige Sorte; weil man ja schon zehn Jahre scharf auf den Nachbarn war, oder weil sich im Urlaub überraschend die Gelegenheit ergab; weil man um das tote Haustier trauerte, sturzbetrunken war oder sich sonstwie nicht unter Kontrolle hatte – jede Beziehung ergibt eine komplizierte, individuelle Gemengelage, deren Auswüchse im Grunde genommen nur von den Beteiligten be-, und im Zweifelsfall verurteilt werden können.

Alles musste schon mal als Grund herhalten

Auch andere Verbrechen werden aus verschiedenen  Motiven begangen – nur wenige lassen sich auf so vielfältige Arten und Weisen begehen; vor allem lassen die allerwenigsten sich einfach willkürlich behaupten. Manchen reicht ein langer Blick des Partners quer durchs Restaurant, um sich im Innersten betrogen zu fühlen. Scheidungsgrund Interpretation. Andere zucken gelassen mit den Schultern, wenn es „ehrlich, wirklich nur Sex“ war, und das auch „echt nur das letzte Jahr“. 
Richtige Verbrechen sehen irgendwie anders aus; nicht ohne Grund ist Ehebruch seit 1969 in Deutschland kein Straftatbestand mehr. Raubüberfall, Mord und Totschlag nennen wir Tatbestände, auch weil Tatbestände nicht wesentlich von der Einstellung der Beteiligten abhängen. Wie nennen wir es, wenn der ertappte Partner einfach sagt: „Ach so, ich dachte, das würde dir nichts ausmachen!?“ Wenn nach dem GAU Gespräche hervorgekramt werden, vor Jahren irgendwann mal kurz und unverbindlich geführt (oder auch nicht): „Aber du meintest doch mal, das wäre okay, wenn….“ Mögliche Erklärungen gibt es wie Sand am Meer. Und auch das, was erklärt werden soll, lässt sich kaum definieren, die Palette reicht von „einmal auf dem Sofa zusammen eingepennt“ bis zu jahrelang geheimgehaltenen Swingerparties.

Für welches „Verbrechen“ könnte man sich mit Tränen und Blumenstrauß entschuldigen?

Wenn Fremdgehen so eindeutig – und so selten – wäre wie Mord und Totschlag, gäbe es wohl längst eine einhellige öffentliche Meinung. Aber so lange man schätzt, dass mindestens in der Hälfte aller Beziehungen mindestens einmal fremdgegangen wird, haben wir den Salat. Die Dunkelziffer will gar keiner mehr wissen, aber eins steht fest: der Seitensprung ist ein Massenphänomen. Schlimmer noch, zu allem Überfluss war das offenbar schon immer so. Und da gleichzeitig und dubioserweise ja fast niemand ein rücksichtloses Egoschwein oder ein erbärmliches, charakterschwaches Triebwesen ist, bleibt uns bis aufs Weitere wohl nur – das Durchwursteln. Das Diskutieren. Das Drama.

Wo eine Antwort weit und breit nicht in Sicht ist, macht es vielleicht Sinn, die Frage mal umzudrehen

Nicht „Warum gehen wir bloß fremd?“, sondern „Was wären wir ohne Untreue?“ Wir können die Sache mit den Beziehungen und der Bumserei, mit den Träumen und der Treue, mit der Liebe und den Trieben auf ihren – zugegeben ewig dankbaren – Boulevardcharakter reduzieren; wir können sie aber auch als extrem fruchtbaren Grundbaustein der conditio humana begreifen. Der Seitensprung ist kein Randthema, weder sind nur „bildungsferne Schichten“ betroffen, noch ist er dem Hochadel vorbehalten; fremdgegangen wird zu allen Zeiten, in jedem Alter, überall und offenbar mehr oder weniger andauernd: von Hera und Zeus bis Brangelina, von Venus und Mars bis Bum-Bum-„Besenkammer“-Boris, von Mozart und Einstein bis zum Sperminator und allen möglichen amerikanischen Präsidenten. Es ist immer passiert, passiert immer wieder, wird immer wieder passieren.

Die Gründe und Motive sind genauso vielfältig wie wir selbst. Wäre es da nicht angebracht, den Seitensprung und das dazugehörige Beziehungsdrama einfach/endlich als ein zentrales Leitmotiv unserer ganzen Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte zu verstehen? Als Antrieb, als Triebfeder, oder wenigstens als Komödie? Wir finden doch alle pausenlos die originellsten Erklärungen und Entschuldigungen für alle möglichen Sachen, die wir machen oder eben nicht machen, hätten machen sollen, uns fest vorgenommen hatten, dann aber leider doch nicht… und so weiter.  Die allermeisten Menschen sind nun mal nicht perfekt, und was noch wichtiger ist: die allermeisten Menschen wollen auch lieber bitte nicht mit einem perfekten Menschen zusammen sein.

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