Home » LIFE » LIEBESLEBEN » Die Macht der Berührung
LIEBESLEBEN

Die Macht der Berührung

Die Macht der Berührung
Die Macht der Berührung
Foto: gpointstudio/Shutterstock

Welchen Stellenwert Nähe in der Gesellschaft einnimmt und was Paare tun sollten, um sich nicht zu verlieren, erklärt Haptik-Forscher Martin Grunwald im Interview.

avatar

PD Dr. Dipl. Psych. Martin Grunwald

Universität Leipzig Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung – Haptik-Forschungslabor

Herr Grunwald, Sie sind der Meinung, der Tastsinn sei das wichtigste Sinnessystem überhaupt. Warum?

Der Tastsinn ist ein Lebensprinzip, ohne ihn gibt es kein Leben. Es werden Menschen blind oder taub geboren, aber ohne den Tastsinn ist noch niemand auf die Welt gekommen. Schon bei Neugeborenen zeigt sich seine Bedeutung, und selbst einzellige Organismen verfügen über ein Tastsinnessystem.

Inwiefern?

Für das Neugeborene sind Berührungsreize eine Art Lebensmittel. Erfolgen sie nicht oder nur in geringem Umfang, kann das extreme Auswirkungen auf die Entwicklung haben. Das Bedürfnis nach Berührung ist deshalb ein lebenslanges Grundbedürfnis des Menschen. Ein Baby, das nicht berührt, nicht umarmt, nicht gehalten wird, verkümmert schnell oder stirbt schlimmstenfalls.

Unsere körperliche, geistige und soziale Entwicklung ist ohne sozial vermittelte Berührungsreize undenkbar. Die Botschaft vom Leben kann nur über körperliche Stimulation durch unser soziales Umfeld Eingang in unser Bewusstsein finden. Fehlt diese Botschaft, verliert das Leben selbst seinen Sinn.

Seien Sie ihrem Partner pro Tag fünf Minuten körperlich nahe, auf der Couch oder im Bett, und halten Sie sich einfach nur fest.

Welchen Stellenwert sollte die Berührung in einer Partnerschaft haben?

Einen sehr großen. Doch wir befinden uns wahrscheinlich in einer permanenten Defizitspirale.

Warum?

Wir haben zu viel Arbeit, zu viel mediale Ablenkung und zu wenig Körperlichkeit. Wir „verrotten“ acht, zehn Stunden am Tag vor unseren Plastiktastaturen und Rechnern. Ich bin davon überzeugt, dass sich die meisten Paare höchstens zwei Minuten pro Tag berühren – Küsschen am Morgen, vor dem Zur-Arbeit-Gehen, beim Nachhausekommen und dann vielleicht noch eins vorm Schlafengehen. Doch das reicht längst nicht, um eine Beziehung dauerhaft am Leben zu halten.

Es geht hierbei nicht um sexuelle Kontakte, sondern um emotionale und körperliche Nähe. Mein Tipp: Seien Sie Ihrem Partner pro Tag fünf Minuten körperlich nahe, auf der Couch oder im Bett, und halten Sie sich einfach nur fest. Anfangs wird Ihnen das vielleicht komisch vorkommen, doch es ist gut möglich, dass Sie diese körperliche Form der Wir-Zeit nicht mehr missen wollen.

Warum tun sich Menschen mit Berührungen so schwer?

Nicht alle, aber einige. Berührungen werden gesellschaftlich und auch durch Medien vorwiegend mit Sexualität in Verbindung gebracht. Von dieser einseitigen Perspektive müssen wir uns lösen. Körperkontakt ist nicht nur eine sensorische Stimulation, sondern auch ein evolutionär erprobtes Kommunikationsmittel, das besonders schnell die wichtigen Botschaften übermittelt. 

Bitte nennen Sie uns Beispiele.

Wenn ein Mann und eine Frau sich berühren, müssen sie nicht sofort den Gedanken an Sex haben. Ganz andere Emotionen und Motive können im Spiel sein. Es ist sicher auch kein sexueller Übergriff, wenn man von einem Kollegen oder einer Kollegin im Überschwang auf die Schulter geklopft wird. Und es ist ein völlig normales Verhalten, wenn Väter und Mütter mit ihren Kleinkindern zusammen in der Badewanne sitzen.

Ich finde es schon sehr bedenklich, wie immer mehr völlig normale zwischenmenschliche Verhaltensweisen übersexualisiert werden. Wir sollten stattdessen uns ins Gedächtnis rufen, dass nicht sexuell intendierte Körperberührungen zum normalen Verhaltensrepertoire unserer Spezies gehören.

Bindungen und Nähe zwischen uns Menschen, vom Baby bis zum Greis, werden eben auch durch Körperkontakt vermittelt. Ohne Nähe verkümmern der Mensch und auch das Gefüge sozialer Gemeinschaften.

Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen Männern und Frauen?

Nein, das körperliche Empfinden ist weder eine Frage des Alters noch des Geschlechts. Männer haben zwar häufig Probleme damit, ihre Bedürfnisse in Worte zu fassen, und fühlen sich unmännlich, wenn sie sich nach Berührungen ohne sexuelle Hintergedanken sehnen, doch die Sehnsucht nach Nähe ist nicht geschlechtsspezifisch.

Nächster Artikel
Home » LIFE » LIEBESLEBEN » Die Macht der Berührung
LIEBESLEBEN

Lustlosigkeit war gestern!

Im Interview mit der Sexologin Ann-Marlene Henning

Ist sexuelle Lustlosigkeit ein weitverbreitetes Thema in Deutschland?


In langjährigen Beziehungen ist es das.

Woran liegt das?

Es gibt einen großen Unterschied im Gehirn zum Anfang, wenn man verliebt ist, denn dann ist alles leicht. Wenn jedoch aus Verliebtsein Liebe wird, verändern sich Hormone und diese steuern dem Sexualtrieb häufig entgegen. Wenn man in dieser Phase nicht aufpasst, dann kann es ganz schnell zur Normalität werden, dass man nichts mehr macht. Man muss es aktiv wollen und man muss etwas tun. 

Oft reden Partner auch nicht miteinander darüber.

Da sind wir bei einem ganz wichtigen Aspekt. Man könnte die Beziehung viel lebendiger halten, wenn man sich viel, viel mehr zeigen würde. Mit Ängsten, mit Sorgen, mit Freuden, die viele einfach zurückhalten. Das ist falsch, denn es kann Lust erschaffen, den anderen wirklich zu sehen, mit all seinen Gefühlen. Wenn man das nicht tut, wird es schnell zu einem Nebeneinander- statt Miteinanderleben.

In vielen langjährigen Beziehungen wird lieber nichts gesagt, um das System nicht zu verunsichern. Wenn man aber nichts sagt, kennt man den anderen gar nicht mehr und weiß zumindest nie, wo er sich jetzt gerade gefühlstechnisch befindet. Das ist die eine Sache, dass man so auseinandergelebt ist, sich manchmal sogar gleichgültig wird. 

Was ist die andere?

Andere haben, unterstützt durch Liebes- und Bindungshormone, so viel Nähe und machen alles zusammen, sodass da dann auch keine sexuelle Spannung mehr entstehen kann. Und die Beziehung irgendwann einem Bruder-Schwester-Verhältnis gleicht. 

Viele Paare haben nach vielen Jahren ohne Sex Hemmungen, manche sogar Angst, vorm zweiten ersten Mal.

Gibt es einen Punkt in der Beziehung, in der man verstärkt darauf achten sollte, sodass es gar nicht erst zur ersten oder zweiten Variante kommt?

Ich glaube nicht, dass es diesen Punkt X gibt, aber irgendwann merkt man, dass es nicht mehr so läuft  wie am Anfang. Oft sind das kleine Anzeichen, beispielsweise, dass er oder sie einem lange nicht mehr durch die Haare oder über den Po gestreichelt hat – Kleinigkeiten eben. Ich bin aber beispielsweise gerade in einer Beziehung, da war es eher gleich Liebe. Und so kam es gar nicht zu diesem Punkt. Vielleicht liegt das am Alter (lacht).

Ist Lustlosigkeit eine Frage des Alters?

Es gibt Untersuchungen, die das widerlegen. Viele frisch verliebte 60-Jährige haben mehr Sex als 30-jährige langjährige Singles. Ich denke nicht, dass Lustlosigkeit etwas mit dem Alter zu tun hat. Ich denke, dass die Dauer der Beziehung der Punkt ist. Die Länge macht es und Paare faulen sich ein. 

Wie kann man dem „Einfaulen“ entgegenwirken?

Man sollte darauf achten, sich gegenseitig immer Kleinigkeiten zu zeigen. Dem anderen zeigen, dass man ihn gerne anfasst, dass man ihn lieb hat, dem anderen auch mal danke sagen, wenn er etwas gemacht hat. Man muss immer darauf achten, die Beziehung intakt zu halten – körperlich und emotional. 

Was raten Sie Paaren, die seit zehn Jahren keinen Sex mehr hatten?

Paare mit diesem Problem kommen jeden Tag in meine Praxis. Wir beginnen therapeutisch zu arbeiten und wenn dann bald der erste Sex nach vielen Jahren Pause ansteht, haben viele Hemmungen, manche sogar Angst, vorm zweiten ersten Mal. Dann habe ich die Paare auch schon einmal ganz offen gefragt:. „Na, wie wäre es, heute Abend?“

Oft kommt dann, dass sie schon Lust haben, aber gar nicht mehr wissen, wie das geht. Dann frage ich weiter: „Gibt es denn die Morgenlatte noch?“ – „Ja, die gibt es.“ – „Würdest du es schön finden, wenn sie diese anfasst?“ / „Würdest du sie gern anfassen?“ – als Antwort kommt dann öfters „Oh ja!“„Dann macht es doch einfach!“

Was ich damit sagen will, ich versuche den Paaren sehr konkrete Anregungen zu geben und eventuelle Hemmschwellen aufzuzeigen, damit der Druck kleiner wird und sie beginnen, offener über Sex zu reden. Und eine Hausaufgabe könnte zum Beispiel sein, dass jeder den anderen in den nächsten Tagen mindestens zehn Mal so anfassen sollte, wie man seine Geschwister nicht anfassen würde.

Dabei muss es nicht gleich schlüpfrig werden, wie viele sagen. Es geht vielmehr darum, den anderen wieder zu berühren und die gegenseitige Aufmerksamkeit für Sexualität und Verführung zu erhöhen. 

Ist es nach so langer Zeit ohne Sex wie das erste Mal?

Absolut! In großen Teilen erinnert es daran …

Können Swingerclubs, Sextoys und Co die Lust erhöhen?

Erhöhen kann es die Lust, aber gegen die Unlust helfen, denke ich nicht. Sextoys können mit Sicherheit Spaß machen. Viele müssen dafür aber erst einmal ihre Hemmungen überwinden und diese kaufen. Für Swingerclubs sollte man eine gewisse sexuelle Selbstsicherheit haben und wissen, was man mag und was nicht. Doch in erster Linie geht es nicht um Sextoys oder Swingerclubs, sondern darum, den Spaß an sich und dem anderen wiederzuentdecken. 

Nächster Artikel