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FASZINATION MUSIK

Nimm dir Zeit

Nimm dir Zeit
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Foto: Andreas H Bitesnich/Shutterstock

Ein Gespräch mit Startrompeter Till Brönner über Fotografie als Verstärker, den Handschlag beim Schuster und viel Lässigkeit im Weißen Haus.

Vor ein paar Monaten waren Sie am International Jazz Day mit Kollegen im Weißen Haus zu Gast. Was trägt man denn, wenn man bei Obama zu Hause herumläuft?

Möglichst gediegen. Es gab keine Vorschriften und niemand dachte, er müsse im Frack kommen. Das hat das Weiße Haus auch nicht ausgestrahlt. Aber man hat schon gemerkt, dass jeder gut aussehen wollte. Natürlich geht ein Pat Metheny auch wegen des Präsidenten nicht im Anzug auf die Bühne. Der hat weiter sein gestreiftes T-Shirt zur Jeans an. Eben weil er Pat Metheny ist.

Wie war die Stimmung?

Uns hat das alle sehr beeindruckt. Mich hat es als Alien, der ich als Deutscher war, beeindruckt, was es mit den amerikanischen Musikern gemacht hat.

Es war Obama anzumerken, was für eine große Freude er hatte.

Denn die waren, obwohl sie sich in bestimmten Kreisen die Klinke in die Hand geben, tief berührt.

Waren Sie nervös?

Ich war natürlich nervös. Toll war aber das Gefühl der Musiker untereinander. Das, was da passierte, war spürbar eine Kollaboration dessen, was an Klangfarben im Raum ist. Das wollte man partout herstellen.

Trotz der Security war alles von einer bemerkenswerten Lockerheit. Der Präsident ließ das Weiße Haus lila anstrahlen, weil Prince gerade gestorben war, und zitierte Dizzy Gillespie. Es war Obama anzumerken, was für eine große Freude er hatte.

Wie würden Sie Ihren Kleidungsstil beschreiben?

Na schauen Sie mich an, mit meinen blöden T-Shirts. (lacht) Ich würde ihn als dynamisch beschreiben. Sich heute leger und in Streetwear zu kleiden, ist viel anstrengender, weil die Kombination mehr Grips und Nachdenken erfordert, wenn es am Ende noch stilecht sein soll.

Ich mag den Moment, eine Automatikuhr aus der Box zu nehmen und in Ruhe aufzuziehen.

Es ist unmöglich, meine Reisen wie ein Geschäftsmann in Anzügen zu absolvieren. Ich träume allerdings davon. Das ist ein erklärtes Lebensziel.

Irgendwann, vielleicht in zehn Jahren, mit fünf Anzügen, zehn Hemden und drei Paar Schuhen zu leben. Die Frage, was ziehe ich an, abzuhaken.

Krawatten trägt man ja heute auch kaum noch.

Krawatte ist sehr stadtabhängig. Ich finde es prickelnd zu sehen, was in London auch bei heißem Wetter für gekonnte Krawattenträger herumlaufen. Das ist auch bei der Krawatte eine Frage des Wie’s.

Was ist denn mit Uhren – stören die nicht beim Spielen?

Es ist erstaunlich, wie sehr man sich an das Gewicht an der Hand gewöhnt. Das ist auch ein guter Ausgleich zur Trompete in der anderen Hand. Als Werbeträger ist man da ganz gut geeignet.

Die Leica hat aber wahnsinnig gute Linsen und traditionell das Kleinbildformat erfunden.

Ich habe lange Zeit den Trompetern auf die Handgelenke geschaut und war immer begeistert von der kleinen Hamilton-Uhr, die mein Trompetenlehrer am Arm trug. Dann habe ich begonnen zu suchen und zu sammeln. Irgendwann hat sich das beruhigt und geblieben ist in einer Box ein kleines Arsenal an vier oder fünf Uhren, die ich fast zu jeder Gelegenheit anziehen kann.

Ich mag den Moment, eine Automatikuhr aus der Box zu nehmen und in Ruhe aufzuziehen. Das macht mindestens so viel Spaß, wie mit einem guten Paar Schuhe zum Schuster zu gehen, der Dich noch mit Handschlag begrüßt. Man gibt zwar erst mehr Geld für sie aus. Aber auf lange Sicht spart man, weil sie zu reparieren sind.

Ihre Trompete müssen Sie sich ebenfalls genau aussuchen – nach welchen Kriterien?

In Bezug auf Genuss und Stil ist das vergleichbar. Das hat auch mit einem bestimmten Look zu tun. Ich wähle meine Uhr zwar nicht nach der Trompete aus. Aber da kommt schon eine Verbindung zustande.

Ich spiele heute eine Trompete eines japanischen Herstellers, die nach meinen Vorstellungen konzipiert wurde. Er kann dieses Modell so oft nachbauen, wie es nötig ist. Wäre sie defekt, könnte ich weltweit in irgendeinen Laden gehen und dieses Modell neu kaufen.

Jeder könnte dort also eine Till-Brönner-Trompete erwerben – und mit ihr wahrscheinlich nicht so gut spielen?

Das ist korrekt.

Wenn Sie fotografieren, was Sie inzwischen auch erfolgreich tun, greifen Sie aber zur Leica. Reizt Sie die schicke Marke?

Ich arbeite mit allen Apparaten gern. Die Leica hat aber wahnsinnig gute Linsen und traditionell das Kleinbildformat erfunden. Zu keiner Kamera bekommt man vom Gegenüber ein so merkliches Kompliment wie mit einer Leica.

Sie trägt und pflegt immer noch einen Mythos. Den Satz „oh that’s a real camera“ habe ich schon oft gehört. Das geht mir mit einem japanischen Boliden nicht. Große Kameras sehen auch immer aus wie ein Angriff auf die Persönlichkeit. Als deutscher Künstler habe ich natürlich geschaut, was ich nach außen mit repräsentieren kann. (lacht)

Wie würden Sie Ihren Stil beim Fotografieren beschreiben?

Das werde ich auch beim Spiel mit der Trompete oft gefragt. Das ist schwer, in Worte zu fassen. Ich selbst empfinde ihn als im weitesten Sinne unverfälscht und immer ausgehend auf den Hauch einer Reaktion im Gegenüber.

Jim Rakete hatte einen großen Einfluss auf meine Alben.

Unabhängig von technischer Qualität gibt es nur eine Frage: Warum gibt es dieses Foto? Wenn ich das sofort erkenne, ist es egal, ob ich mit dem Smartphone oder der Leica fotografiere. Dann hat es einen Wert.

Wie lassen Sie sich selbst in Szene setzen?

Ich war immer in der glücklichen Lage, das in die Hände des jeweiligen Fotografen zu legen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Jim Rakete einen großen Einfluss auf meine Alben hatte. Der hat ein starkes und ausgeprägtes visuelles Verständnis von einem Foto. Dahinter steckt immer eine Aussage. Vorher gab es viele gute Bilder, aber die haben selten für Abdruck gesorgt.

Ich habe davon gelernt und gemerkt, wie man als Protagonist Einfluss nimmt. Man wird wählerischer. In unserer visuellen Zeit wird das auch erwartet. Ein Fotoportal wie Instagram hat wirklich nur mit Optik zu tun.

Verkauft eine Diana Krall mehr Alben, wenn sie viel Bein auf dem Cover zeigt?

Das kann ich gar nicht beurteilen. Am Anfang hat sie nicht so viel Bein gezeigt. Es gibt aber immer mehr Beispiele, von Leuten, die sich entblößen, wenn sie musikalisch nicht funktionieren. Fotografie ist immer nur der Verstärker von irgendetwas, was schon da ist.

Ich wollte immer Musik veröffentlichen, die ich auch noch in zehn Jahren unterschreibe.

Und nicht umgedreht. Man rutscht sonst schnell in eine Zeiterscheinung ab. Man sieht an jeder Straßenecke, dass eine optische Selbstvermarktung geradezu essentiell zu sein scheint. Natürlich spüren wir als Künstler, dass es in Zeiten, in denen es kein MTV und keine Plattenläden mehr gibt, schwieriger wird, überhaupt noch durchzudringen.

Wie finden Sie nach dem 18. Album noch Inspiration für ein neues?

Je mehr Alben man produziert, desto schwieriger wird es. Es ist immer eine Standortbestimmung. Da hilft die Kunst des Loslassens.

Ich habe selten an einer Vinyl, die jetzt auch wieder kommt, mit so viel Freude gesessen wie aktuell.

Mir ist immer mulmig, mich einer Zeiterscheinung hinzugeben. Ich wollte immer Musik veröffentlichen, die ich auch noch in zehn Jahren unterschreibe. Noch wichtiger als früher, als Musik noch Gesetze brach, ist heute die Wiedererkennbarkeit und Persönlichkeit des Künstlers.

Es gibt außerdem eine Gegenbewegung in Richtung eines hochwertigen Produkts, das den Retorten und schnellen Quellen trotzt. Gefragt ist das exklusive Produkt, das Zeit erfordert. Für das man einen Plattenspieler benötigt. Das zum Blättern und Studieren einlädt. Auf meinen Konzerten ist der LP-Anteil, wenn wir die Langspielplatte anbieten, erstaunlich hoch. Eigentlich eine schöne Entwicklung. Ich habe selten an einer Vinyl, die jetzt auch wieder kommt, mit so viel Freude gesessen wie aktuell.

Ihr neues Album heißt „The Good Life“ – warum?

Es ist ein Titel auf dem Album, der wesentlich hintersinniger ist, als das, was er so vordergründig suggerieren könnte. Es geht um die Frage, auf was man verzichten könnte, wenn es im Leben hart auf hart kommt.

Die Platte könnte auch heißen: Nimm Dir Zeit. Aber dann sind wir schnell bei den alten Shows von Peter Frankenfeld. (lacht) Denn gegen „The Good Life“ ist auch im genießerischen Sinne nichts einzuwenden. Die Platte klingt ein wenig wie einer, so glaube ich, der perfekteren Abende, die man haben kann. Wenn man sich Zeit nimmt.

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Gute Musik altert nicht

Christian Schaaf, Gründer von Klassik. TV spricht im Interview über die Wahrnehmung der klassischen Musik in der heutigen Zeit.

Keine Zukunft ohne Vergangenheit“ – was fällt Ihnen dazu ein?

Oh, gleich philosophisch. (lacht) Eines der größten jungen Talente am Klavier, Daniil Trifonov, sagte kürzlich vor seinem Debut an der Carnegie Hall in New York, dass seine größte Herausforderung beim Musizieren ist, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer Einheit werden zu lassen. Wirklich hören kann man aber nur den Moment, in dem man spielt. Das unglaublich faszinierende an der menschlichen Art, Musik zu produzieren und wahrzunehmen ist aber, dass man gleichzeitig das Verklungene, das gerade Klingende und die Vorstellung von dem, was gleich klingen wird, in seinem Gehirn zusammensetzen kann. Je besser man das kann, desto besser auch die Chancen auf echte Musik. Ein sehr schönes Gleichnis.

Genauso ist es nämlich mit der klassischen Musik im Allgemeinen, worauf Ihre Frage vermutlich zielte. Gute Musik altert nicht, weil sie immer wieder neu produziert wird. Und damit meine ich nicht nur neue Aufführungen, sondern auch jedes Mal dann, wenn Musik von jemandem angehört wird. Dann entsteht sie neu. Im Kopf und Herzen des Zuhörers. Und auch, wenn es immer wieder Unkenrufe gibt: Die Konzertsäle sind voll. Die Opernhäuser und Festivals auch. Das symphonische Orchester ist eine der phantastischsten und komplexesten Errungenschaften unserer Kulturgeschichte.

Und selbst die, die meinen, sie würden nie symphonische Musik hören, erinnern sich bitte an ihren letzten Kinobesuch. Großes Kino ohne Orchestermusik ist beinahe undenkbar. Egal, ob Romanze, Thriller oder Action.

Und was die Zukunft betrifft, wäre es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn diese Zweige der klassischen Musik wieder zusammenfinden. Die Oper war schließlich so etwas wie das Hollywood des 19. Jahrhunderts.

Sie sagten einmal, dass Ihre Leidenschaft für die Musik durch den Tanz begann. Bitte gehen Sie näher darauf ein. Wie ist Ihre Leidenschaft zur Musik entstanden?

Nicht wirklich. Ich habe lange musiziert, bevor ich im zarten Alter von 23 Jahren mit dem Tanzen anfing. Mit 16 Jahren habe ich sogar mal einen Klavierwettbewerb gewonnen. Und dann irgendwann kam das Tanzen. Trotz meines ultra-späten Starts habe ich noch ein passable Karriere als Halb-Solist an einer großen deutschen Staatsoper hinbekommen, durfte Solorollen in den großen romantischen Balletten wie „Schwanensee“, „Nussknacker“ und „Giselle“ tanzen und auch viele moderne Rollen interpretieren. Das Witzige ist nur: Wenn ich zurückblicke ist das, was mir am Meisten fehlt, der Luxus, jeden Tag gratis symphonisches Orchester hören zu dürfen.

Und wie hat sich diese dann weiterentwickelt?

Ich habe viel musiziert und auch extrem viel Musik gehört. Während meiner Zeit als Dokumentarfilmproduzent habe ich mir auch bisweilen den Luxus geleistet, die Filmmusik selber zu schreiben und zu produzieren. Außerdem moderiere ich seit ca. 5 Jahren die „Operngespräche“ bei denen ich das Glück habe, prominente Gäste aus der Opernwelt zu ihren Premieren zu befragen.

Was ist Ihnen innerhalb der Zeit an der Staatsoper in Hannover am intensivsten in Erinnerung geblieben?

Eindeutig meine Rolle als „Rotbart“ in Schwanensee. Das lag mir einfach. Ich fand es immer schon langweilig, der Prinz zu sein. Die Bösen sind viel interessanter.

Klassik TV, ein Streaming Dienst für Musikliebhaber, wie entstand die Idee?

Die hatte ich komischerweise gar nicht selber. Mein damaliger Partner in der Filmproduktion kam damit an, ohne zu realisieren, was er damit beim mir anrichtete. Seither bin ich süchtig.

Klassik.TV ist meine Leidenschaft und meine Droge. Und, wie man an unseren Usern sehen kann: Sie ist ansteckend. Hochgradig stimulierend – aber gesundheitlich völlig unbedenklich. 

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