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Transsexualität und Geschlechtsdysphorie

Transsexualität und Geschlechtsdysphorie
Transsexualität und Geschlechtsdysphorie
Junge oder Mädchen? Eine Entscheidung kann auch mal schwer fallen. Foto: paw/Shutterstock

Wenn ein Kind geboren wird, findet unmittelbar nach der Geburt eine schlichte, aber folgenreiche Zuweisung statt.

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Prof. Dr. med. Peer Briken

Direktor des Instituts für Sexualforschung Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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Dr. phil. Timo O. Nieder

Psycho- und Sexualtherapeut am Institut für Sexualforschung Uniklinik Hamburg-Eppendorf

„Oh, es ist ein Junge!“ oder „Oh, es ist ein Mädchen!“, sagt die Hebamme oder der Geburtshelfer, nachdem der Genitalbereich des Säuglings betrachtet wurde.

Wenn es nicht im Verlauf der Schwangerschaft bereits über den Ultraschall erfasst wurde, wird auf diese Weise das Geschlecht eines Menschen erstmalig „bestimmt“. Die getroffene Einschätzung führt in der Folge dazu, dass die Eltern und andere Bezugspersonen Erwartungen im Hinblick auf das für das Geschlecht typische Erleben und Verhalten des Kindes aufbauen: Das Kind soll sich seinem Geschlecht entsprechend fühlen (Geschlechtsidentität) und verhalten (Geschlechtsrollenverhalten).

Für die große Mehrheit der Menschen treffen diese Erwartungen auch zu: Die Art und Weise, wie sie sich fühlen und verhalten, scheint selbstverständlich im Einklang mit dem zugewiesenen Geschlecht zu stehen. Allerdings entwickeln nicht alle Menschen ein Geschlechtsidentitätserleben, das mit den körperlichen Geschlechtsmerkmalen übereinstimmt.

Stimmt die Geschlechtsidentität nicht mit den Geschlechtsmerkmalen des Körpers überein, spricht man von Geschlechtsinkongruenz (Inkongruenz = Nicht-Übereinstimmung). Wenn die betreffende Person unter dieser fehlenden oder beeinträchtigten Übereinstimmung leidet, wird dies als Geschlechtsdysphorie (dysphorisch = missmutig, übellaunig) bezeichnet.

Die Geschlechtsdysphorie wiederum kann mit Maßnahmen aus den Bereichen der Sexualmedizin, Psychotherapie, Endokrinologie und Chirurgie behandelt werden. In der Regel wird eine Kombination dieser Disziplinen angewandt, um die Geschlechtsdysphorie möglichst dauerhaft zu lindern.

Menschen, die sowohl öffentlich ihre Geschlechtsrolle (von Mann zu Frau oder von Frau zu Mann) wechseln als auch die körperlichen Geschlechtsmerkmale vollständig oder zum Teil mit Hilfe einer Hormonbehandlung und/oder mit chirurgischen Eingriffen verändern, werden meist als transsexuell bezeichnet.

Dabei gilt als transsexuelle Frau jene Frau, bei der sich zunächst die körperlichen Geschlechtsmerkmale eines Mannes entwickelt haben, als transsexueller Mann wird ein Mann beschrieben, bei dem sich zunächst die körperlichen Geschlechtsmerkmale einer Frau entwickelt haben.

Nicht alle Menschen erleben ein Geschlechtsidentitätsleben.

Obgleich der Begriff der Transsexualität häufig mit der Metapher vom „Leben im falschen Körper“ verknüpft wird, steht weniger der gesamte Körper als vielmehr dessen geschlechtsspezifische Merkmale im Vordergrund. Sie sind es, die als falsch erlebt werden, die nicht mit dem Erleben der eigenen Geschlechtszugehörigkeit übereinstimmen. 

Während noch bis Ende der 1990er Jahre vorwiegend zwei Möglichkeiten gesehen wurden, entweder als (transsexuelle) Frau oder als (transsexueller) Mann zu leben, suchen in den letzten Jahren zunehmend Menschen spezialisierte Einrichtungen zur Behandlung auf, die ein Leben zwischen den etablierten Geschlechtsrollen von Mann und Frau als für sich stimmig erachten.

Im Verlauf der Psychotherapie lässt sich die Art und das Ausmaß der jeweils notwendigen Behandlungsmaßnahmen, mit denen sich das Erleben von Geschlechtsdysphorie reduzieren lässt, im Einzelfall sowie im engen und gleichberechtigten Austausch mit den Personen selbst klären.

Gelingt es den Betroffenen, sich im Zuge des Geschlechtsrollenwechsels sowie mithilfe der körperverändernden Maßnahmen ein Leben aufzubauen, das dem Erleben der eigenen Geschlechtsidentität entspricht, kann sich der Leidensdruck nachhaltig reduzieren bis verschwinden und die Lebensqualität spürbar steigen. 

Immer mehr Menschen suchen Einrichtungen zur Behandlung auf.

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